Im Interview mit dem Thonet Creative Director Norbert Ruf
11. November 2024
Ein Unternehmen mit über 200 Jahren Geschichte
Thonet steht für weltbekannte Designklassiker: Sei es der Freischwinger S 32 oder die Bugholzmöbel, die das Unternehmen bereits im 19. Jahrhundert berühmt gemacht haben. Norbert Ruf findet es faszinierend, die über 200-jährige Unternehmensgeschichte immer wieder neu zu reflektieren und dabei zukunftsweisende Perspektiven zu entwickeln. Im Interview spricht der Creative Director von Thonet über Nachhaltigkeit, Designikonen und was ein Möbelstück braucht, um von Generation zu Generation weitergegeben zu werden.
Lieber Herr Ruf, der Freischwinger S 32 ist der Esszimmerstuhl meiner Kindheit – über das Geflecht mit den Fingern zu streichen, ist eine eingeprägte Erinnerung für mich. Klassiker von Thonet sind für die Ewigkeit gemacht. Was macht diese Produkte so langlebig, dass sie von Generation zu Generation weitergegeben werden können? Können Sie dies anhand eines Beispiels erläutern – besonders in Bezug auf Design und Material?
Ich glaube nicht, dass Entwürfe ursprünglich mit dieser Intention gemacht wurden. Die Designer wollten einfach etwas Gutes erschaffen. Mit der Zeit kristallisierte sich aber heraus: In diesen Produkten steckt etwas, was sie besonders langlebig macht. Dabei handelt es sich nicht um ein formales Detail, sondern eine innere Struktur und Logik. Die Substanz des Produktes ist also sehr stark.
Durch dezente Anpassungen von Oberflächen und Farben kann das Produkt zeitgemäß gestaltet werden. Nehmen wir das Beispiel des Freischwingers von Marcel Breuer: Den haben wir seit über 90 Jahren im Portfolio. Wir haben die Oberflächen und Farben über die Jahrzehnte immer wieder vorsichtig angepasst. Wir schauen genau hin und würden dem Produkt keinen kurzfristigen Trend zumuten. Wir denken in Generationen – vor allem im Wohnbereich wünschen wir uns, dass Menschen lange Zeit Freude an unserem Produkt haben.
Wie gehen Sie bei Thonet an die Entwicklung eines neuen und langlebigen Produkts heran? Welche Punkte und Prozesse müssen hierbei besonders bedacht werden?
Erstmal müssen wir uns die Frage stellen: Was rechtfertigt ein neues Produkt? Ein neues Produkt wird gebraucht, wenn zum Beispiel ein neues Nutzungsfeld oder neue Nutzungsgewohnheiten entstehen, die durch das bestehende Portfolio nicht abgedeckt werden können. Ein aktuelles Beispiel sind die Veränderungen, die wir in der modernen Arbeitswelt beobachten. Arbeitsplätze sind heute nicht mehr an feste Technologien gebunden, denn man kann Geräte überall mit hinnehmen. Arbeiten am Esstisch ist genauso möglich wie im Büro. Solche Entwicklungen können zu einer neuen Produktidee führen.
Aktuell arbeiten wir an einem neuen Konferenztisch-System. Früher saß man eher „an“ einem Tisch, heute sitzt man „um“ den Tisch herum – weniger trennend, mehr verbindend. Grundsätzlich beobachten wir kontinuierlich Veränderungen in der Gesellschaft allgemein sowie in anderen Branchen.
Nachhaltigkeit ist heutzutage allgegenwärtig. Was bedeutet dieser Begriff für Thonet im Kontext der modernen Möbelproduktion?
Das klingt vielleicht nicht sonderlich attraktiv, aber: Für uns ist Abfallvermeidung noch relevanter als Recycling. Viele Marken bieten Produkte aus recycelten Materialien an, die in Qualität, Stabilität und Ästhetik jedoch kurzlebig sind. Letztendlich entsteht dadurch also nur „nachhaltiger“ Müll.
Bei Thonet betrachten wir mehrere Ebenen. Erstens: Was steckt in dem Produkt? Das heißt, welche Materialien werden verarbeitet, wo produzieren wir, welche Ressourcen werden eingesetzt? Zweitens: Was gibt die Qualität des Produktes her? Ist es überhaupt in der Lage, bei intensiver Nutzung jahrelang zu halten? Wie kann man sich lange damit wohlfühlen?
Außerdem ist es natürlich wichtig, als Unternehmen auch Dienstleistungen wie einen Reparaturservice anzubieten, falls das Produkt doch einmal abgenutzt ist. Den firmeneigenen Reparaturdienst bieten wir zum Beispiel schon seit über 50 Jahren an.
Guter Punkt: Wie läuft der Reparaturprozess bei Thonet konkret ab, wenn ein Kunde ein Möbelstück überarbeiten lassen möchte?
Eines unserer Produkte zu reparieren, ist für uns, als würde der verlorene Sohn nach Hause zurückkehren und wir uns um ihn kümmern. Das ist uns also ein sehr wichtiges Anliegen. Wir möchten schließlich, dass das Produkt, wenn es zurückgegeben wird, ein zweites, drittes, viertes Leben bekommt.
Der direkte Ansprechpartner ist immer der jeweilige Händler, bei dem man das Produkt gekauft hat. Wir bieten den Revitalisierungs-Service, wie wir ihn nennen, auch parallel online auf unserer Seite an. Dort gibt es ein Formular mit den jeweiligen Dienstleistungen und Preisstrukturen. Bei uns wird die Reparatur wie ein normaler Auftrag erfasst, inklusive einer Information zur voraussichtlichen Dauer. Bei kleineren Reparaturen, wie etwa einer Stuhllehne, kann diese einfach abmontiert und an uns geschickt werden. Wir versenden sie danach zurück an den Händler oder auch an den Endkunden. Wer bei uns in Frankenberg vorbeikommt, kann das Produkt natürlich auch einfach direkt bei uns abgeben.
Letzte Frage: Welche Designikone von Thonet fasziniert Sie persönlich am meisten und weshalb?
Das ist eine schwierige Frage, denn wenn ich einen Klassiker nenne, lasse ich viele andere außen vor. Auch die neueren Produkte liegen mir natürlich am Herzen. Wenn ich mich entscheiden müsste, wäre es wohl der Freischwinger S 64 von Marcel Breuer. Dieses Produkt zeigt, dass es eine Vergangenheit, ein Heute und eine Zukunft hat. Marcel Breuer ist es mit diesem Entwurf gelungen, zwei Dimensionen der Marke Thonet zu kombinieren: Er hat auf die Bugholz- und Rohrgeflecht-Tradition von Thonet zurückgegriffen und sie mit dem Stahlrohr verbunden. Der S 64 vereint hohe Qualität, Sympathie und Komfort.
Grundsätzlich habe ich aber viele Möbel von Thonet zuhause und freue mich jeden Tag daran.
Lieber Herr Ruf, vielen Dank für das interessante Interview! Wir wünschen Ihnen weiterhin alles Gute.
Interview: Laurie Hilbig