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Man müsste als Besucher der Elbphilharmonie, dem neuen Wahrzeichen Hamburgs, eigentlich auf anderen Wegen begegnen, als auf zwei Beinen, Kopf hoch erhoben und mit all dem Wissen gefüllt, was die Medien in den letzten dreizehn Jahren über dieses Bauprojekt geschrieben haben. Künstler verschiedener Kategorien versuchen diesen Perspektivwechsel seit der Eröffnung der Elbphilharmonie mit Inbrunst: Sie lassen eine Kamera per Drohne durch das Gebäude sausen; kratzen, klopfen und klingeln sich quer durch die Konzertsäle; sie setzen sich an eins der scheinbar endlosen Panoramafenster und malen die Hafen-Szenerie, die sich vor ihnen bis zum Horizont ausbreitet… Man könnte aber auch die 80 Meter lange, leicht gekrümmte Rolltreppe hinauf auf die Besucherterrasse fahren und sich dabei fühlen, wie ein Astronaut auf dem Weg ins All. Oder wie eine „Blinde-Kuh“ mit verbundenen Augen die Konzertsäle und seine merkwürdigen Strukturen ertasten. Und am Ende all dieser Spielereien würde mit großer Wahrscheinlichkeit immer das Gleiche herauskommen: Großes Staunen.
Denn die Elbphilharmonie berührt die Sinne — alle Sinne gleichermaßen. Sie ist nicht nur ein Ort, der den Ohren mit ausgewählten Klängen schmeichelt, sondern auch ein Ort, der mittels Architektur und Design Musik erlebbar machen möchte: Das Erlebnis beginnt schon beim bloßen Anblick der Elbphilharmonie: Denn die Schweizer Architekten Herzog-&-de-Meuron setzten auf den historischen, trutzigen Backsteinunterbau des ehemaligen „Kaispeicher A“ einen flüssig wirkenden, spiegelnden Glasbau, der sich 110 Meter über die Elbe hochschwingt. Es wirkt wie eine architektonische These und seine Antithese in einem Baukörper — so kühn, das einem schon als Betrachter fast schwindelig wird. Die markante Form bestimmte allerdings kein hochtrabender Architektentraum, sondern das Herzstück des Hauses: Der große Konzertsaal und seine aufkragende Form gab die Form für den gesamten Baukörper vor, in welchem sich auch Privatwohnungen und ein Hotel befinden. Niemand der rund 2100 möglichen Besucher sollte im großen Konzertsaal weiter als 30 Meter vom Dirigenten entfernt sein — das war der Anspruch der Elbphilharmonie-Planer. Das traditionelle Prinzip eines Konzertsaals, hier das Publikum, da vorne die Künstler, wurde mit dem Konzertsaal der Elbphilharmonie und seinen organisch fließenden Formen, damit aufgelöst. Neben der Weinbergterrassen-artigen Aufteilung, ist aber vor allem der Werkstoff bemerkenswert, mit dem die Wände und Decken ausgekleidet sind: Der weltberühmte, japanische Akustiker Yasuhisa Toyota entwickelte dafür eine „Haut“ aus Gipsmulden, keine so wie die andere, aber alle mit einer enormen Wirkung auf den Schall und seine Entwicklung im Saal. In diesen “Zellen“ sitzen mundgeblasene Glaskugelleuchten, die wie lichtgefüllte Wasserblasen aus der wellenförmigen Decke auftauchen. Sie sind das Ergebnis einer künstlerischen Zusammenarbeit vom Hersteller Zumtobel, dem Lichtplanungsbüro Ulrike Brandi Licht und dem Glasgestalter Detlef Tanz.
Aber auch der kleine Konzertsaal beeindruckt mit seinen Strukturen und Materialitäten, wie dem dreidimensional gefrästen Eichenholz, mit dem die Wände verkleidet sind. Man denkt an Sandstrand und die Meeresbrandung, wenn man die Wand sieht und möchte sie eigentlich sofort anfassen. Konträr dazu ist die Decke des kleinen Saals mit Stahlbeton verkleidet, der sich als wiederkehrendes Element durch das gesamte Bauwerk zieht. Dem populären, modernen Baustoff stellten die Architekten solche besonderen Werkstoffe wie den mineralischen Kalkspachtel im Foyer oder die Glaspaillettenwände im Rolltreppenbereich zur Seite. Und sogar das Dach beeindruckt mit seinen fast 6000 Aluminium-Pailletten, die einfallendes Licht brechen und reflektieren wie ein Kristall. So gelingt den Architekten, dass das gigantische, gewellte Dach fast schwebend wirkt — obwohl es allein 700 Tonnen wiegt und auf 1000 Stahlträgern ruht.
Aber auch im Kleinen und eher Verborgenen wurde die Elbphilharmonie wohl überlegt gestaltet: Maßgeblich sind daran das junge Designer-Paar Eva Marguerre und Marcel Besau beteiligt, die von dem Architekten Daniel Schöning an Bord geholt wurden. Und trotz strengster Vorgaben blieben Besau-Marguerre ihrem feinsinnigen Stil treu, setzen auf puristische Formen und subtile Materialspiele. Die beiden nutzen ihre Chance aber auch dazu anderen Designern eine Bühne zu geben: Backstagebereiche, Büroplätze, Künstlersuiten und Stimmräume bestückten Eva Marguerre und Marcel Besau mit Sesseln, Stühlen, Leuchten, Beistelltische und sogar solchen “Kleinigkeiten“ wie Wanduhren und Kerzenständern von aufstrebenden, deutschen Designern (darunter Stefan Diez, Eric Degenhardt, Philipp Mainzer oder KaschKasch). Doch als sie keine passenden Stehtische für das große Foyer fanden, schritten sie (in Kooperation mit dem Hersteller e15) auch selbst zur Tat. Entstanden sind zierliche Möbelstücke, die mit ihren runden Formen die geschwungene Anmutung des Elbphilharmonie-Baus aufnehmen — und sich selbst nicht zu ernst nehmen. Es geht hier eben um die feinen Töne, um Nuancen. Denn die Elbphilharmonie ist ein Ort zum Staunen und Träumen. Ein Ort für die ganz lauten, aber auch ganz leisen Momente des Lebens.
Foto 1: Dach/Michael Zapf / Foto 2: Außenfassade/Thies Raetzke / Foto 3: Foyer/Michael Zapf / Foto 4: Plaza/Iwan Baan / Foto 5: Kleiner Saal/Michael Zapf / Foto 6: Sky Lounge/Michael Zapf